Es gab Phasen im Leben, da dachte ich, ich hätte ADS – Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. (Wer das nicht kennt, werfe einen kurzen Blick auf Wikipedia.) Worauf man alles so kommt, wenn es mit dem Schreiben nicht läuft und wenn sich die zu erledigenden Aufgaben stapeln … Natürlich habe ich sofort auf das Negative geschielt.

Aber gibt es das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom überhaupt? Ich werfe mal eine steile These in den Raum: Wenn ich davon ausgehe, dass es das Syndrom gibt, dann verhalte ich mich entsprechend und meine Motivation geht den Bach runter.

Es gibt Studien, in denen man Schülern und Lehrern suggerierte, dass bestimmte Schüler besonders intelligent seien. Und die waren ein halbes Jahr später tatsächlich besser geworden! Und wenn ich denke, dass ich ein faules Ferkel bin, dann wird das schnell zur Wahrheit.

Was ist los mit Mella?

Ich kann enorm fleißig sein, wenn ich eine hochproduktive Phase habe, und ich kann – gerade auch nach einer Buchveröffentlichung – ganz schön in den Seilen hängen. Nun, dann ist das wohl ADS mit Hyperfokus, dachte ich mir. Hyperfokus bedeutet, dass man sich von der Begeisterung durch ein Projekt tragen lässt.

Zum Beispiel bin ich adrenalingetrieben durchs Studium geschossen. Vor Klausuren drehte ich auf, danach fiel ich zusammen. Okay, das war aufreibend, aber die Phasen dazwischen haben mich wieder entspannt. Ich habe oft gesagt, wenn man Studieren als Beruf ausüben könnte, dann wäre ich die erste Anwärterin gewesen. Studieren konnte ich richtig gut.

Aber dann kam der erste Job. Gleichförmigkeit von acht bis achtzehn oder wie viel Uhr. Und es wurde zäh. Es gab kein Adrenalin. Eine Aufgabe, die man heute erledigte, konnte man auch morgen machen. Aber natürlich hätte ein unendlicher Aufschub ins Chaos geführt. Trotzdem, mein bisheriges Organisationsschema versagte. Aber in einem Job mit Meetings und Chef und Todo-Liste ging es trotzdem immer irgendwie voran, auch wenn ich diese Zeit meines Lebens als unbefriedigend empfand, weil ich viele Dinge machen musste, die ich freundlich formuliert für absoluten Schwachsinn hielt. Und in dieser Zeit lernte ich, wie man Arbeit vortäuscht.

Arbeit vortäuschen? Wie jetzt, Mella?

Niemand ist jeden Tag gleich fit. Es gibt kreative Tage, es gibt Tage, da ist man hochkonzentriert, und es gibt Konzentrationslöcher und Hänger. Die hat jeder, davon bin ich heute überzeugt, aber gerade am Anfang meiner beruflichen Laufbahn dachte ich, dass ich die Einzige sei, der es so geht. Natürlich lässt sich das kaum jemand anmerken. Also starrt man konzentriert auf den Bildschirm und klickt, wenn der Chef oder die Kollegen in der Nähe sind, obwohl man keinen klaren Gedanken fassen kann. Und dieses Vortäuschen frisst dann den letzten Rest der Energie, die man mitgebracht hatte, vollständig auf.

Nun, heute bin ich selbstständig, und wie ihr euch sicher denken könnt, ist es vollkommen unsinnig, mir selbst vorzutäuschen, wie viel ich arbeite, wenn am Abend nichts erledigt wurde. ;-) Game over!

Es gibt niemanden, der einen antreibt (außer liebe Leser, die das neue Buch endlich in Händen halten möchten – danke dafür!) Und da ich mir immer noch viel zu viel vornahm, stand ich abends oft da und fragte mich, wie denn schon wieder der Tag um sein konnte? Wie, schon 20 Uhr jetzt? Was hab ich heute gemacht?

Und in solchen Phasen kommen dann die Zweifel. Vielleicht bin ich anders als andere? Krank? Desorganisiert? Unnötig zu erwähnen, dass ich fast alle Produktivitätstools, die dieser Planet zu bieten hat, irgendwann testete.

ADS-Recherche macht ADS

In der Zeit, in der ich über ADS recherchierte, war ich tatsächlich nicht besonders produktiv. Aber Hand aufs Herz – wer lässt nie ungeliebte Dinge liegen, wer ist immer so schnell, wie er gerne sein würde? Da ich mir grundsätzlich zu viel vornahm, konnte ich in dieser Rechnung nur negativ abschneiden. Das Schlimme an dieser Phase war, dass mich allein die Idee runtergezogen hat, ich könne eventuell vielleicht unter ADS leiden. Und je überzeugter ich wurde, desto schlimmer entwickelte sich meine Faulheit.

Ich habe nie einen ADS-Test gemacht, und vielleicht wäre ich für den einen oder anderen Psychologen sogar ein Kandidat für Ritalin – wer weiß? Das Zeug wird heute tonnenweise verschrieben, auf eine Autorin mehr oder weniger kommt es da nicht an.

The way out

Ich kürze ab, sonst wird dieser Artikel länger als meine Konzentrationsspanne. Scherz!

Ein Problem waren meine hohen Erwartungen an mich selbst.

Manchmal schüttele ich den Kopf, wenn ich lese, wie meine Kolleginnen am Tag 10000 Wörter schreiben. Ich habe das in meinem Autorenleben genau drei mal geschafft, und das ist so selten, dass ich sogar noch wüsste, bei welchen Büchern es geschehen ist.

Aber die Wörter machen keine gute Geschichte, die Story ist wichtig. Und wenn die komplex ist, kann man nicht so schnell arbeiten. Auf der anderen Seite der Skala stehen Verlagsautoren, die sich meist viel mehr Zeit lassen als ich. Realistisch betrachtet stehe ich also irgendwo in der Mitte. Aber meine Ansprüche lagen weit, weit oben. Und es sollte alles immer besser werden.

Selektive Vergesslichkeit

Ein weiterer Punkt war, dass ich mich am Abend noch haargenau daran erinnerte, wann ich nicht produktiv war – aber die Zeit, in der ich fleißig gearbeitet habe, fanden in meinem Denken weniger Raum. Mich selbst wünsche ich niemandem als Chef!

Habitica

Auf die Spur brachte mich Habitica, das ist ein Spiel, in dem man durch das Erledigen von Aufgaben voran kommt. Ich habe damit etwa zehn Wochen lang gearbeitet, dann hatte ich die meisten Flugkeiler, Kakteen, Jungbären und Wölfe heran gezüchtet und die Belohnungen blieben aus. Man kann zwar weiterspielen, aber es fühlt sich nicht mehr so lohnend an wie zuvor.

Trotzdem war meine Neugier geweckt. Inzentivierung, war das ein Schlüssel? Mich für jeden Schritt belohnen? Ich suchte immer wieder im Netz, vor allem unter dem Stichwort „Gamification“, dabei geht es grob gesagt darum, dass man aus ungeliebten Aufgaben ein Spiel macht. Habitica ist dafür ein perfektes Beispiel.

Gamification

Ein englischsprachiger Artikel brachte mich auf eine witzige Idee: Dort beschrieb ein Blogbesitzer, wie er aus seinem Leben ein Spiel machte. Grob gesagt vergab er für erledigte Aufgaben verschiedenfarbige Punkte und belohnte sich dann dafür mit Bier, Kleidung und anderen Dingen. Ich versuchte das, allerdings erstellte ich keine Kategorien, sondern vergab für alles Punkte, das mir wichtig erschien. Mein Ziel war, am Tag 150 Punkte zu erreichen, dann würde ich den Tag als „gelungen“ ansehen.

Aber was tun, damit die wichtigen Dinge erledigt werden?

Ganz einfach: Ungeliebte Aufgaben ergeben mehr Punkte. Schreiben und Korrigieren wird bei mir hoch bewertet, weil es wichtig ist. Und wenn mich eine Aufgabe total genervt hat, gebe ich mir auch mehr Punkte. Interessanterweise wurde ich wesentlich produktiver, denn ich saß nicht mehr vor dem Computer, wenn es nicht lief, sondern suchte mir einfach andere Aufgaben raus und arbeitete mich warm. Dinge wie die regelmäßige Einnahme von Vitaminen (phasenweise mache ich das) gerieten nicht mehr in Vergessenheit, denn den Punkt holte ich doch fix mit. Weiterbildung wurde bepunktet, Buchrecherche, Aufräumen, putzen und und und … fast alles, was in meinem täglichen Leben wichtig war.

Und bei diesem System bin ich bis heute geblieben. Interessanterweise brauche ich keine Belohnung, damit das funktioniert. Es genügt mir, wenn ich abends anhand einer Zahl sehen kann, dass der Tag nicht für die Tonne war. Heute habe ich 148 Punkte erreicht bisher, davon 70 fürs Schreiben an Rosenmond und die anderen für andere Aufgaben. Manche Menschen bezeichnen mein System als kompliziert, aber für mich funktioniert es perfekt.

Und an Tagen, an denen ich wirklich nicht aus dem Quark komme, bepunkte ich mich höher, und zwar für jeden Task, den ich trotz meiner Unlust in Angriff nehme. Meist bin ich dann am Nachmittag wieder in Schwung und es läuft wie gewohnt.

Habe ich jetzt ADS oder hat mir nur ein für mich passendes System gefehlt?

Für dich sind es vielleicht andere Methoden, die gut funktionieren. Es gibt so viele Tools da draußen … Viele arbeiten mit einem Bullet Journal (einfach googeln, gibt viele Anleitungen), aber als ich dazu wechselte, hing ich nach drei Wochen wieder stärker durch und ging zurück zu meinen Punkten.

Ich weiß, dass ich mich aus dem Fenster lehne. Aber für mich gibt es kein ADS. Schwankende Aufmerksamkeit ist keine Krankheit, es ist normal.

Wir müssen endlich mal wieder hinterfragen, wie viel Leistung gesund ist. Wir müssen akzeptieren, dass nicht ein Tag wie der andere ist. Wir sind keine Mensch-Maschinen. (Arbeitgeber sollten das mal begreifen!) Und wenn man seinen Weg findet, dann läuft es. Immerhin mache ich das jetzt seit gut neun Monaten und ich gedenke nicht, mein System wieder aufzugeben.

Jeder findet seinen Weg, wenn er mutig genug ist, danach zu suchen

Vielleicht hast du ein anderes Thema als Produktivität, fühlst dich irgendwie falsch oder in diesem Punkt minderwertig. Hör nicht auf, nach deinem Weg zu suchen. Vertraue auf deine Intuition, dann packst du es.

Ich wünsche euch eine produktive und eine fröhliche, glückliche und optimistische Woche!

Eure Mella

P.S. Dieser Artikel hat 1498 Wörter. Würde ich an Rosenmond schreiben, gäbe es dafür fast 45 Punkte, aber Blogartikel bepunkte ich etwas günstiger. Dreißig Punkte ist er aber wert, oder? Wenn ich noch ein Bild raussuche, Korrektur lese und ihn auf Facebook poste, damit ihr ihn auch findet …